Die Diagnose Krebs ist ein Schock und stellt jedes Jahr das Leben von zahlreichen Familien völlig auf den Kopf – für die Familien beginnt ein Kampf um das Leben der betroffenen Kinder und ein Alltag geprägt von Klinikaufenthalten und Therapieplänen. Anlässlich des Weltkinderkrebstages haben wir Mama Alina und die mittlerweile 5-jährige Ava getroffen – Ava gehört zu den rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die den Blutkrebs besiegen konnten. Mama Alina erzählt uns ihre Geschichte.

Oktober 2020. Mitten in der Corona-Pandemie. Ava leidet an sehr hohem Fieber, das auch mit fiebersenkenden Mitteln nicht in den Griff zu bekommen ist. Das quirlige Mädchen wirkt auffällig blass und abgeschlagen, dunkle Ringe zeichnen die sonst so aufgeweckten Augen der damals Zweijährigen.

„Wir waren so besorgt“, sagt Mama Alina. „Ich wusste, dass irgendwas ganz und gar nicht stimmt. Wir sind mehrmals zum Kinderarzt gefahren – wurden zunächst aber mit der Diagnose eines hartnäckigen Infekts nach Hause geschickt.“

Als sich Avas Zustand innerhalb einer Woche nicht bessert und das Fieber Werte über 41 Grad erreicht, fährt die Familie ins Diakonie Krankenhaus nach Bad Kreuznach: die dortigen Ärzte haben einen Verdacht – Leukämie. Schnell wird das Mädchen mit dem Krankenwagen ins Kinderonkologische Zentrum nach Mainz gebracht.

„Ich war wie gelähmt“, erinnert sich Mama Alina. „Der Schock saß so tief, dass ich noch nicht einmal weinen konnte – ich konnte es einfach nicht glauben.“

In der Mainzer Uniklinik herrscht nach einem Tag Gewissheit. Ava leidet an einer akuten lymphatischen Leukämie (B-ALL). Für die Familie beginnt eine kräftezehrende und schwere Zeit – nicht nur, dass durch Corona die Regelungen in der Klinik restriktiver sind und nur ein Elternteil bei Ava bleiben kann, auch die familiäre Situation ist besonders herausfordernd: Ava wurde nur drei Monate vor der Diagnose große Schwester. Der kleine Bruder Mats wird noch gestillt – Mama Alina wechselt sich mit Papa Daniel auf der Station ab, um den kleinen Bruder zu versorgen.

„Wir waren mit unserem Alltag zunächst völlig überfordert“, sagt Alina. „Wir hatten uns gerade an die neue Situation mit Kleinkind und Baby gewöhnt, es lief alles harmonisch und war so schön. Und dann steht die Welt plötzlich von heute auf morgen still und wir hatten nur noch einen Gedanken: Unser Kind muss gesund werden, es darf nicht sterben.“

Nicht nur das Pflege- und Ärzteteam, sondern auch das psychologische Team des Kinderonkologischen Zentrums fängt die Familie auf, beantwortet alle aufkommenden Fragen und hilft, in einer Situation, die nicht schwerer hätte sein können.

„Wir haben uns gut aufgehoben gefühlt“, berichtet Alina. „Alle sind einfühlsam und insbesondere die psychologische Betreuung war für uns von großem Wert.“ So habe das psychosoziale Team der Familie erste Hilfestellungen gegeben, um mit dem veränderten Alltag und der Diagnose umzugehen. „Die Gespräche mit den Psychologen haben mir sehr geholfen, meine Gefühle zu drosseln, ich konnte klarer denken und für mein Kind stark sein.“

In Mama Alina und Papa Daniel erwacht nach dem ersten Schock der Kampfgeist. Sie wechseln sich im Krankenhaus ab. Die ganze Familie hilft mit, damit auch der kleine Bruder Mats bestmöglich versorgt ist. In der kleinen Ortschaft, aus der die Familie stammt, und im familiären Umfeld sind die Anteilnahme und das Hilfsangebot riesig.

Ava durchläuft ein halbes Jahr lang eine Intensivtherapie mit Chemoblöcken, in denen sie immer wieder für drei bis sieben Tage stationär aufgenommen wird. Dazwischen ist die Familie zu Hause und versucht die gemeinsame Zeit bestmöglich mit schönen Augenblicken zu füllen. Außerplanmäßige Klinik-Aufenthalte, zum Beispiel um Bluttransfusionen zu erhalten oder aufgrund von Infekten, gehören jedoch dazu – das Immunsystem und blutbildende System des kleinen Mädchens ist durch die Erkrankung und Chemotherapie massiv geschwächt. Nach der Intensivtherapie folgt bis Dezember 2022 eine Erhaltungstherapie. In dieser Zeit erhält Ava eine orale Chemotherapie zu Hause.

„Ava hat die Therapie körperlich wirklich gut verkraftet“, erinnert sich Alina. „Aber psychisch ging es ihr währenddessen und danach lange Zeit nicht gut. Sie hatte mit Angstzuständen und kleineren Panikattacken zu kämpfen.“ Ava beginnt während der Erhaltungstherapie in den Kindergarten zu gehen, ist dort sehr anhänglich und teils ängstlich.

„Wir haben das psychologische Angebot des kinderonkologischen Zentrums auch während der Erhaltungstherapie und danach in Anspruch genommen. Wenn ich mir in manchen Situationen unsicher war, wie ich Ava helfen konnte, mit Angstgefühlen umzugehen, hat mir das Gespräch mit den Mainzer Psychologen sehr geholfen – oft haben sie mich auch einfach nur darin bestärkt, dass ich instinktiv alles richtig mache.“

Die Familie sucht neben der psychologischen Beratung nach weiteren Möglichkeiten, um Ava bei der Verarbeitung der Erlebnisse zu unterstützen: Mit Reittherapie erzielt sie Erfolge. Dort blüht die kleine Kämpferin auf und gewinnt nach und nach an Selbstsicherheit zurück. „Die Pferde haben Ava geerdet und sie auf sehr positive Weise beeinflusst“, sagt Mama Alina.

Mit der Zeit findet die quirlige Ava immer mehr zu ihrem alten Ich zurück. Auf die Frage, was Ava heute am liebsten macht, antwortet Mama Alina lachend: „Wild sein.“ Ava liebt es zu tanzen, zu reiten und turnen und viel Zeit mit ihren Freunden auf dem Spielplatz und im Garten zu verbringen. Sie ist eine kleine Klettermaus, spielt gerne mit Barbie-Puppen und auf die Frage, was sie einmal werden möchte, antwortet sie selbstsicher: „Na Prinzessin natürlich.“

„Heute, drei Jahre nach der Diagnose, können wir wirklich glücklich sein“, freut sich Mama Alina. „Ava geht es körperlich und auch emotional super und die Prognose ist wirklich gut – wir sind sehr zuversichtlich, dass der Krebs nicht zurückkommen wird.“

Mit ihrer Geschichte geht die Familie offen um. Mama Alina und Papa Daniel wollen dazu beitragen, mehr Bewusstsein zu schaffen: Krebs im Kindesalter darf kein Tabuthema sein.

„Oft wissen Außenstehende nicht, was mit einer Krebsdiagnose beim Kind alles einhergeht. Neben der Angst um das aller wertvollste, das eigene Kind, kommen oft finanzielle Ängste hinzu, wenn zum Beispiel – wie auch in unserem Fall – zeitweise keiner Arbeit mehr nachgegangen werden kann, weil die Versorgung des kranken, aber auch des gesunden Kindes gewährleistet werden muss. Oder wenn das Überleben des Kindes von einem passenden Stammzellspender abhängt, der erst noch gefunden werden muss: diese Ängste und Herausforderungen zu bewältigen, ist eine Mammutaufgabe“, weiß Alina.

Ava und ihre Familie haben es geschafft und blicken zurück und vor allem voraus: „So ein Schicksalsschlag, wie wir ihn mit Ava gemeinsam als Familie durchgestanden haben, verändert die Sichtweise aufs Leben wie auch die Wertschätzung für die alltäglichen Dinge. Ich bin ich schlichtweg dankbar, dass wir heute wieder einen normalen Familienalltag haben und Ava so glücklich ist und – mittlerweile auch psychisch – keinerlei Einschränkungen hat. Außenstehende ahnen nicht, wie schwer krank unsere Ava vor drei Jahren noch war.“

Auf unsere abschließende Frage, was Ava sich denn für ihre Zukunft wünscht, antwortet das Mädchen lächelnd: „Eine kleine Schwester.“ Ein Wunsch, der noch in diesem Jahr in Erfüllung gehen wird, wie Mama Alina uns freudig verrät.

Wir wünschen der kleinen Kämpferin Ava und ihrer Familie alles erdenklich Gute und sagen Danke für die Offenheit und Bereitschaft, uns ihre Geschichte zu erzählen – für mehr Bewusstsein im Kampf gegen Kinderkrebs.

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  • Wie viele Kinder erkranken an Krebs?

    Jedes Jahr erkranken in ganz Deutschland etwa 2.200 Kinder und Jugendliche neu an Krebs. Alleine in unserer Region sind es jährlich 100 bis 120 neue Fälle. Die Heilungsaussichten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert: Heute überleben 8 von 10 kleinen und größeren Patient*innen ihre Krebsdiagnose um mindestens 15 Jahre – 2 von 10 krebskranken Kindern und Jugendlichen leider nicht – eine Zahl, die noch immer zu hoch ist, weshalb weiter in Forschung und neue Behandlungsmöglichkeiten investiert werden muss.

  • Welche Krebsart haben Kinder am häufigsten?

    Leukämie, eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems, ist die häufigste Krebsart im jungen Alter: In ganz Deutschland bekommen jährlich etwa 600 Kinder und Jugendliche die Diagnose Blutkrebs. Die meisten Kinder und Jugendlichen (rund 80 Prozent) erkranken an der akuten lymphatischen Leukämie, kurz ALL. Seltener ist die akute myeloische Leukämie (AML) mit 20 Prozent der Fälle im Kindes- und Jugendalter und einer tendenziell schlechteren Prognose.

  • Was bedeutet die Diagnose ALL genau?

    Die häufiger auftretende ALL entsteht im Knochenmark, wo es zu einer Überproduktion unreifer weißer Blutzellen kommt, die sich unkontrolliert vermehren. Dadurch können gesunde weiße (Leukozyten) und rote Blutkörperchen (Erythrozyten) sowie Blutplättchen (Thrombozyten) nicht mehr im notwendigen Umfang gebildet werden. Die akute lymphatische Leukämie befällt vom Knochenmark aus das Blut, das lymphatische System und alle anderen Organe im Körper. Die ALL tritt am häufigsten zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr auf; sowohl AML als auch ALL sind lebensbedrohlich – findet keine Behandlung statt, führt die akute Leukämie innerhalb weniger Wochen bis Monate zum Tod.

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  • Fußballer Leo berichtet uns in seiner Geschichte, wie es war, während Corona im Kinderonkologischen Zentrum zu sein, und von einem ganz besonderem Urlaubstag vergangenen Sommer.
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