Wenn Kinder an Krebs erkranken, dann wird das Leben der Kinder und Jugendlichen sowie deren Familien völlig auf den Kopf gestellt. Der Alltag verändert sich und ist bestimmt von Krankenhausaufenthalten und Therapieplänen: Das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus und betrifft auch den Besuch der Schule. Die betroffenen kleinen und größeren Patient*innen sehen sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber: Sie möchten trotz Krankheit am Schulleben teilhaben und den Anschluss nicht verpassen. Sie müssen dabei aber mit den Auswirkungen der Therapie, wie etwa Konzentrationsschwierigkeiten aufgrund von beispielsweise Chemotherapie, und einem gänzlich veränderten Lernumfeld in der Klinik umgehen. Bei all diesen Herausforderungen steht den Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern Lehrerin Gundula Weckenmann zur Verfügung. Sie begleitet die Patient*innen am Kinderonkologischen Zentrum, gibt Unterricht und hilft bei der Vor- und Nachbereitung von Unterrichtsmaterial in der Klinik. „Für mich ist meine Arbeit absolut sinnstiftend“, sagt die ehemalige Realschullehrerin.
Im Interview erzählt uns Gundula Weckenmann, wie Schule in der Klinik abläuft, was ihre Arbeit ausmacht und welchen Herausforderungen sich die Patient*innen und Familien stellen müssen:
Lehrerin Gundula Weckenmann
Frau Weckenmann, wie sind Sie zu diesem außergewöhnlichen Job gekommen?
Vor über fünf Jahren habe ich eine Stellenanzeige entdeckt, in der ein*e Lehrer*in gesucht wurde für chronisch kranke Kinder und Jugendliche. Das Gesuch sprach mich direkt an: Ich bewarb mich und bekam die Stelle an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz. Seit zwei Jahren bin ich nun schwerpunktmäßig auf der Station A2 und somit am Kinderonkologischen Zentrum in Mainz tätig.
Wie startet Ihr Tag als Lehrerin am Kinderonkologischen Zentrum?
Mein Arbeitstag beginnt um 9 Uhr. Zunächst bespreche ich mit den Ärzt*innen, welche Kinder und Jugendlichen zurzeit stationär und auch ambulant vor Ort sind. Dann suche ich die Patient*innen auf den Zimmern auf, um abzufragen, ob sie sich fit genug fühlen, um am Unterricht teilzunehmen bzw. Unterrichtsmaterial zu bearbeiten. Dabei betreue ich nicht nur Kinder und Jugendliche, die stationär aufgenommen sind, sondern auch ambulante Patient*innen, denn auch diese können Lernphasen in der Klinik wahrnehmen.
Wie begleiten Sie die Kinder und Jugendlichen in der Klinik?
Ich biete den Schüler*innen eine allumfassende Betreuung an bestehend aus Vor- und Nachbereitung des Unterrichtsmaterials als auch Schulunterricht – und zwar individuell für jede/n Patient*in.
Schreiben die Patient*innen auch Tests oder Klassenarbeiten außerhalb der Schule?
Ja, Klassenarbeiten werden in meinem Beisein in der Klinik geschrieben und dann an die Schule, die die jeweiligen Kinder und Jugendlichen besuchen, geschickt. Auch ist es aber möglich, dass die Lehrer*innen die Patient*innen zuhause besuchen und dort gemeinsam mit ihnen Tests und Arbeiten schreiben – das ist tatsächlich je nach Stand der Therapie flexibel umsetzbar.
Und wie sieht es mit Abschlussprüfungen, wie etwa dem Abitur oder zur Mittleren Reife, aus?
Auch das ist in der Klinik möglich. Ich hatte mal eine Patientin, der es wirklich sehr wichtig war, dass sie trotz ihrer Krankheit ihre Abiturprüfungen ablegt. Ihre Lehrer*innen kamen dann zu den Abiturprüfungen in die Klinik und haben die Prüfungen dort abgenommen. Das war mit Sicherheit nicht einfach und die junge Frau musste oft die Zähne zusammenbeißen, wenn es ihr gerade nicht so gut ging, um den Anschluss nicht zu verpassen – aber heute ist diese Patientin total glücklich darüber, dass sie damals während ihrer Krebserkrankung drangeblieben ist.
Was macht Ihre Arbeit so besonders?
Dass sie so vielseitig ist und ich gleichzeitig das Gefühl bekomme, etwas so Wertvolles zu leisten. Meine Arbeit lässt sich gut als „Rundumversorgung“ beschreiben: Ich gebe Unterricht in der Klinik, bin zugleich aber auch die Brücke zwischen den Patient*innen bzw. deren Eltern und der Schule, die die jeweiligen Kinder und Jugendlichen besuchen. Ich besorge für die Patient*innen das Schulmaterial und stehe im Austausch mit den Lehrer*innen in den Schulen. Für Eltern und Patient*innen ist meine Arbeit eine große Erleichterung. In einer Situation, die den Familien ohnehin schon alles abverlangt, kann ich ihnen helfen, dass sie trotz der Krankheit ein stückweit ihren Alltag beibehalten und die Schule als Teil ihres Lebens weitergeht. Viele Schüler*innen haben während der Krankheit Angst, den Anschluss zu verlieren, sowohl was die schulische Leistung als auch was das soziale Miteinander betrifft. Ich versuche ihnen hierbei eine Stütze zu sein.
Und wie ist es, wenn die Schüler*innen zum Ende der (Intensiv-) Therapie an die Schule zurückkehren? Begleiten Sie die Wiedereingliederung?
Ja, auch das ist ein Teil meiner Arbeit. Es ist ganz wichtig, nicht nur die Patient*innen, sondern auch die Mitschüler*innen auf den Wiedereinstieg in die Schule vorzubereiten. Die Klassenlehrer*innen sammeln hierzu vorab Fragen der Mitschüler*innen zur Krankheit und diese bespreche ich dann mit den Patient*innen. Das gibt den Patient*innen, aber auch den Mitschüler*innen die Gelegenheit, offen über die Krankheit zu sprechen und Ängste und Unsicherheiten im Umgang damit auszuräumen. Gerade bei den jüngeren Schüler*innen bestehen oftmals Unklarheiten. Das fängt bei der Frage an, ob Krebs ansteckend ist und endet bei Unverständnis hinsichtlich körperlicher und psychischer Einschränkungen, die die Kinder oftmals aufgrund ihrer Krebserkrankung und der Behandlung haben. Damit sich die Patient*innen in der Schule gegenüber ihren Mitschülern nicht unwohl fühlen – weil sie beispielsweise öfter eine Pause brauchen – ist es wichtig, dass die Mitschüler*innen wissen, dass das mit der Behandlung zusammenhängt und welche Nebenwirkungen manche Medikamente haben können.
Welche Schwierigkeiten können für die kleinen und größeren Patient*innen aufgrund der Erkrankung und Behandlung im Detail bestehen?
Es kommt häufig vor, dass die Kinder und Jugendlichen Konzentrationsschwierigkeiten haben oder besonders müde sind aufgrund der Behandlung mit Chemotherapie und/oder Bestrahlung. Das wirkt sich dann natürlich auch auf den Schulunterricht aus, gerade, wenn die Umgebung in der Klasse „trubelig“ ist. Wichtig zu wissen ist, dass das häufig auch nur ein vorübergehender Zustand ist und kleine und größere Patient*innen nicht grundsätzlich auf Dauer unter diesen Nebenwirkungen leiden müssen. Da sollten sowohl die Patient*innen als auch Eltern zuversichtlich bleiben.
Und abschließend die Frage: Wie empfinden Sie persönlich Ihre Arbeit als Lehrerin in der Klinik?
Meine Arbeit empfinde ich als eine Bereicherung. Es ist sehr schön, wie das gesamte Team bestehend aus Patient*innen, Eltern, Ärzt*innen, dem psychosozialen Team, Lehrer*innen an den Schulen, aber auch die beiden am Kinderonkologischen Zentrum aktiven Vereine zusammenarbeiten. Dabei stehen immer die betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Familien im Fokus. Ich empfinde es als erfüllend, einen Beitrag dazu leisten zu können, den Familien in dieser so schwierigen Situation zu helfen. Für mich ist es ein Traumjob, bei dem ich geben und etwas bewirken kann.