Carola_Weber - SAPV

„Wo leidvolle Augenblicke häufig auch mit fröhlichen Momenten eng verbunden sind“ – Interview zum Aufbau eines Kinderpalliativteams Mainz

Wenn ein Kind eine lebensbedrohliche oder lebenslimitierende Krankheit hat, stellt das für die Familien eine Extremsituation dar. Oftmals ist es für alle Beteiligten hilfreich, wenn das Leben selbstbestimmt und im eigenen Zuhause weitergeführt werden kann – und sich nicht überwiegend in Krankenhäusern abspielt. Um das zu ermöglichen, begleiten Kinderpalliativteams die Familien auf diesem Weg medizinisch und pflegerisch in den eigenen vier Wänden. In Rheinland-Pfalz gab es ein solches Angebot bisher nicht. Anfang des Jahres fiel nun der Startschuss für den Aufbau des Kinderpalliativteams Mainz. Dr. Carola Weber, ärztliche Leitung des Teams vom Zentrum für ambulante Hospiz- und Palliativversorgung Mainz/Rheinhessen gGmbH, spricht im Interview über diese Arbeit – die Herausforderungen, aber auch die vielen schönen Momente, die diese Arbeit mit sich bringt.

Frau Dr. Weber, stellen Sie sich doch zunächst einmal kurz vor und erzählen Sie, wie Sie Ihren Weg nach Mainz gefunden haben.

Ich bin von Haus aus Kinderonkologin und habe die vergangenen 11 Jahre in der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie im Zentrum für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Bonn gearbeitet. Im Rahmen meiner dortigen Tätigkeit habe ich verschiedene Bereiche betreut, unter anderem auch das Kinderpalliativteam Bonn, das ich vor 10 Jahren übernommen und aufgebaut habe. Im vergangenes Jahr habe ich für mich den Entschluss gefasst, dieser Arbeit zukünftig mehr Raum und Zeit geben zu wollen. Durch die Stellenausschreibung der Mainzer Hospizgesellschaft und nach einer persönlichen Kontaktaufnahme war klar: Gerne stelle ich mich dieser Herausforderung des Aufbaus eines ersten SAPV-Teams – SAPV steht dabei für spezialisierte ambulante Palliativversorgung – für Kinder und Jugendliche in Rheinland-Pfalz.

Die gesundheitliche Versorgung ist Sache der Bundesländer und Rheinland-Pfalz war bislang das einzige Bundesland ohne eine solche Versorgungsstruktur. Das soll sich nun ändern!

Wie viel Bedarf für Ihre Arbeit gibt es aktuell und wie viele Familien können Sie perspektivisch versorgen?

Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Kinder und Jugendliche mit lebenslimitierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Schaut man sich die Zahlen in Rheinland-Pfalz der vergangenen Jahre an, versterben hier jährlich ca. 200 Kinder und Jugendliche mit einer palliativen Erkrankung. Aber nicht jedes Kind davon benötigt eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Gemeinsam mit den angrenzenden SAPV-Teams für Kinder und Jugendlichen der benachbarten Bundesländer ist es unser Ziel, allen Kindern und Jugendlichen in Rheinland-Pfalz, die einer SAPV bedürfen, diese zukommen zu lassen.

Warum ist eine ambulante Palliativversorgung für Kinder so wichtig? Was sind die Herausforderungen der Familien?

Familien mit lebenslimitiert oder lebensbedrohlich erkrankten Kindern stehen häufig vor großen Belastungen und Herausforderungen. Durch wiederkehrende Krankenhausaufenthalte werden Familien immer wieder auseinandergerissen. Geschwisterkinder werden häufig als Schattenkinder bezeichnet, da sie in der Regel nicht die Aufmerksamkeit erhalten können, die sie benötigen. Zusätzlich spielen natürlich der finanzielle Aspekt und die Sorge um das erkrankte Kind eine große Rolle, sodass ein selbstbestimmtes und gemeinsames Familienleben häufig stark belastet ist.

Unser Ziel ist es, die Familie als Institution in solch einer schwierigen Lage zu unterstützen.

Denn nur durch ein gutes Netzwerk, eine gute Anleitung und Beratung sowie eine sichere Ansprechpartnerin oder einen sicheren Ansprechpartner in Notsituationen können Krankenhausaufenthalte vermieden und ein selbstbestimmtes Leben als Familie im eigenen Zuhause ermöglicht werden.

Wie sieht eine Versorgung „daheim“ genau aus? Welche Bereiche werden abgedeckt?

Die SAPV ist seit 2007 ein gesetzlich verankerter Anspruch für alle Menschen mit einer lebensbedrohlichen oder lebenslimitierenden Erkrankung bei zugleich begrenzter Lebenserwartung und komplexem Versorgungsbedarf. Ziel ist es, eine medizinische Versorgung im häuslichen Umfeld rund um die Uhr sicherzustellen.

Durch regelmäßige Hausbesuche, entsprechend dem Bedarf der Familien und einer 24/7 Rufbereitschaft, ist es unser Ziel Lebensqualität zu stärken, leidvolle Symptome frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, gemeinsam mit den Eltern Therapiestrategien zu entwickeln und die Familien bis zum Versterben des Kindes im häuslichen Umfeld zu begleiten.

Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag für Sie aus – bzw. gibt es diesen überhaupt?

Einen typischen Arbeitsalltag gibt es tatsächlich nicht. Schon allein die Fahrten zu den Familien sind nicht immer planbar, denn oftmals ist Stau oder es kommen unerwartete Notfälle dazwischen. Auch vor Ort ergeben sich häufig unerwartete Aspekte. Im Gegensatz zu der klinischen Versorgung sind wir bei den Familien zu Gast und insbesondere zu Beginn braucht es Zeit, um sich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen.

Aufgrund des großen Versorgungsradius sind wir viel unterwegs. Der Austausch an Informationen ist nicht nur für den Rufdienst wichtig, sodass regelmäßige Treffen und eine wöchentliche Fallbesprechung unabdingbar für unsere Arbeit sind.

Wie ergänzen Sie den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst MOBILE bzw. wo liegen die Unterschiede?

Das werden wir sehr häufig gefragt! Der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst ist ein wichtiger Eckpfeiler in der allgemeinen Palliativversorgung. Die Begleitung der Familien während der oft jahrelangen Erkrankungsphase durch alltagspraktische Unterstützung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schafft Entlastung in den Familien. Durch die Vernetzung der ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienste mit den SAPV-Teams für Kinder und Jugendliche werden Eltern über diese Versorgungsmöglichkeit frühzeitig informiert und die Kontaktaufnahme zu den SAPV-Teams für Kinder und Jugendliche wird erleichtert. Der ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst ist somit eine wichtige Unterstützung in der Versorgung von palliativ erkrankten Kindern mit wichtigen Unterstützungsangeboten im alltäglichen Leben der Familien.

Der Aufgabenbereich einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung von Kindern und Jugendliche hat seinen Schwerpunkt in der medizinischen Versorgung insbesondere in Krisensituationen und ist rund um die Uhr sichergestellt.

Was brauchen Sie noch, um Ihre Arbeit mit voller Fahrt aufzunehmen?

Wir brauchen dringend engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Die Sehnsucht nach Beständigkeit während der Coronazeit macht es schwierig, Personal zu finden. Pflegefachkräfte, die Interesse an neuen Herausforderungen haben und ihr Wissen selbstständig und eigenverantwortlich – ohne dabei alleine zu sein – umsetzen wollen, sind bei uns genau richtig.

Ich kann nur dazu motivieren, sich bei uns zu bewerben: Es ist eine wirklich erfüllende Arbeit, die natürlich auch leidvolle Augenblicke beinhaltet. Allerdings erleben wir in unserer alltäglichen Arbeit auch viele schöne Momente und viel Dankbarkeit.

Insbesondere die Kinder zeigen uns immer wieder, dass das Leben im Jetzt und Hier stattfindet, sodass leidvolle Augenblicke ganz häufig auch mit fröhlichen Momenten eng verbunden sind.

Was würden Sie sich sonst noch wünschen für den Bereich der Kinderpalliativ-Versorgung?

Tatsächlich ist neben dem Personalmangel eine unserer größten Herausforderungen, das Thema bekannt zu machen und ein Verständnis für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche zu schaffen. In dieser Region bzw. hier in Rheinland-Pfalz ist diese Versorgungsstruktur nicht so etabliert wie in anderen Bundesländern. Auch unter niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und in den Kliniken müssen wir ein Bewusstsein für diese Art der Versorgungsstruktur schaffen. Wir versuchen positiv in die Zukunft zu blicken und sind optimistisch, bald mit unserem Team durchstarten zu können. Wir sind dankbar für Kontakte und Tipps: Wer uns unterstützen möchte, darf gerne sein Netzwerk bemühen!

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Weber – und viel Erfolg für den Aufbau Ihres Teams! Die Kinderkrebshilfe Mainz e.V. unterstützt dieses Vorhaben aus vollem Herzen!