Dolmetschen als Teil der psychosozialen Betreuung

Eine Krebserkrankung ist per se ein schwerer Schicksalsschlag und sowohl für die erkrankten Kinder als auch für ihre Familien und Angehörigen mit vielen Herausforderungen und Kraftaufwänden verbunden. Unvorstellbar, wenn dann noch Krieg in der Heimat, die Flucht aus der Ukraine nach Deutschland und das Zurücklassen der Geliebten hinzukommen. Olena Bondarenko ist ehrenamtliche Dolmetscherin am Kinderonkologischen Zentrum (KIOZ) der Unimedizin Mainz und betreut die dort aufgenommenen ukrainischen Familien. In diesem Interview gibt sie einen kleinen Einblick in ihre Arbeit als Teil der psychosozialen Betreuung und erzählt von ihrer Motivation.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Liebe Frau Bondarenko, Sie engagieren sich sozial und arbeiten im KIOZ als ehrenamtliche Dolmetscherin für unsere geflüchteten ukrainischen Patient*innen und ihre Familien. Wie kamen Sie zu dieser Tätigkeit und seit wann engagieren Sie sich auf diesem Wege?

Olena Bondarenko: Ich habe mit dieser Tätigkeit im März 2022 begonnen als ich zum Internationalen Medizinischen Service der Mainzer Unimedizin kam, um meine Hilfe anzubieten. Ich habe den Eindruck, dass Kinder, insbesondere die krebskranken, in diesem schrecklichen Krieg am meisten leiden.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Inwiefern können Sie in Ihrer Dolmetscherinnen-Funktion dazu beitragen, den Patient*innen und ihren Angehörigen ein gutes Ankommen in Mainz und ein sicheres Umfeld zu ermöglichen? Was benötigen diese anfangs am dringendsten?

Olena Bondarenko: Ich war nicht an der Ankunft und Unterbringung der Patient*innen beteiligt. Meine Aufgabe ist es, die kleinen Patient*innen und ihre Eltern zu verschiedenen Untersuchungen und Gesprächen mit den Ärzt*innen in der Klinik zu begleiten. Wir arbeiten im Team mit einer Sozialarbeiterin und einer Psychologin. Ich stehe in Kontakt mit den Eltern und wenn außerhalb der Klinik Hilfe benötigt wird, helfe ich auch, diese zu organisieren.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Es ist bestimmt nicht immer einfach, mit solch traurigen Themen konfrontiert zu werden. Was bereitet Ihnen an Ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin und als Teil der psychosozialen Betreuung der Klinik am meisten Freude und motiviert Sie zum Weitermachen?

Olena Bondarenko: Sie haben völlig recht – es ist sehr traurig, mit diesem Thema zu arbeiten. Ich habe mehrere Gründe, warum ich dies tue. Erstens habe ich selbst Brustkrebs gehabt und kenne alle Schwierigkeiten, mit denen Menschen mit dieser Diagnose konfrontiert sind. Meine Erfahrung in der Ukraine steht in direktem Zusammenhang mit Medizin und Psychologie: Ich bin Ärztin und habe nicht nur Erfahrung in der Medizin, sondern auch in großen internationalen Unternehmen. Ich bin Ukrainerin und der Krieg hat alle Menschen, die ich in meinem Land kenne, sehr stark getroffen. Am 24. Februar um vier Uhr morgens rief mich meine schwangere Tochter aus Odessa an und sagte „Mama, wir werden bombardiert, ich habe Angst…“. Ich werde den Schock, den ich in diesem Moment empfand, nie vergessen. Das ist ein weiterer Grund, warum ich nicht ruhig sitzen bleiben konnte. Ich wollte Menschen helfen, die in Schwierigkeiten waren. Gott sei Dank ist meine Tochter hier und ich bin vor drei Monaten Großmutter geworden.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Das freut uns sehr zu hören, herzlichen Glückwunsch! Haben Sie das Gefühl, dass auch die Eltern der Patient*innen die Betreuung durch das KIOZ, insbesondere am Anfang, als Erleichterung empfinden? Sind sie dankbar für die, zum Beispiel durch Ihre sprachliche Unterstützung gebotenen, Möglichkeiten?

Olena Bondarenko: Ich denke, dass es für die Patient*innen etwas einfacher ist, wenn sie mit ihrer Landsfrau kommunizieren können. Sie sind der Klinik, dem Personal und mir für die Unterstützung sehr dankbar.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Nun steht ja die Weihnachtszeit vor der Tür. Gibt es typisch ukrainische Weihnachtstraditionen, die den Kindern auf Station eine Art ukrainisches Weihnachten ermöglichen?

Olena Bondarenko: Das ukrainische Weihnachtsfest wird am sechsten Januar gefeiert. Die Ukraine ist groß und in den westlichen Regionen gibt es mehr Traditionen: Die Kinder verkleiden sich und singen Weihnachtslieder. Normalerweise erwarten sie Geschenke, aber da die Kirche während der Sowjetzeit verboten wurde, sind viele der mit Weihnachten verbundenen Traditionen verloren gegangen. Am 19. Dezember dieses Jahres freuen sie sich aber über Geschenke in Socken vom Nikolaus.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Was macht Ihnen, den Kindern und den betreuten Familien in solchen Zeiten Mut?

Olena Bondarenko: Das ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich der Glaube, dass Frieden einkehren wird, der Glaube an die Genesung, das Wiedersehen mit Familie und Freund*innen. In kleinen Schritten, Schritt für Schritt, jeden Tag, geht jede*r dem eigenen Ziel oder Traum entgegen.

Kinderkrebshilfe Mainz e.V.: Herzlichen Dank für Ihre Teilnahme und Ihr tolles Engagement, Frau Bondarenko. Alles Gute für Sie und eine – hoffentlich und soweit unter diesen Umständen möglich – besinnliche Weihnachtszeit!