Über 30 Jahre lang war Christina Emrich – besser bekannt als Schwester Tina – ein fester Bestandteil des Pflegeteams am Kinderonkologischen Zentrum in Mainz. Mit großer Hingabe, Empathie und Fachwissen hat sie die Station A2 mitgeprägt, zahlreiche kleine Patient*innen und ihre Familien betreut sowie Tiefen – aber vor allem auch viele Höhen – erlebt, die der Beruf mit sich bringt. Nun heißt es Abschied nehmen: Aus familiären Gründen zieht es Schwester Tina in den Süden Deutschlands, nach Bayern.
Den heutigen Tag der Pflege haben wir zum Anlass genommen, mit Schwester Tina über ihre jahrzehntelange Arbeit am Kinderonkologischen Zentrum zu sprechen – und Danke zu sagen: für ihren unermüdlichen Einsatz, ihr Herzblut und das Know-how, mit dem sie sich über viele Jahre hinweg für die kleinen und großen Krebspatient*innen auf der Station A2 engagiert hat.
Schwester Tina, wann hat es dich ans Kinderonkologische Zentrum nach Mainz verschlagen?
Meine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begann ich 1991 auf der damaligen kinderonkologischen Station 7a (heute A2) der Kinderklinik der Universitätsmedizin Mainz. Seit dem 1. April 1994 war ich als examinierte Kinderkrankenschwester Teil des Pflegeteams – eine lange Zeit, die ich aber niemals missen möchte.
Warum hast du dich für den Bereich Kinderonkologie entschieden?
Damals war es vor allem die enge Beziehung, die man als Pflegekraft auf der kinderonkologischen Station zu den Kindern und Jugendlichen aufbaut, die mich berührt und dazu bewegt hat, mich für diesen Bereich zu entscheiden. Früher durften die Eltern nachts nicht bei ihren Kindern bleiben – das war für die Familien schwer, führte aber auch dazu, dass unsere Bindung zu den Kindern umso enger war. Wir waren nicht nur medizinisches Fachpersonal, sondern auch Bezugspersonen: Wir trösteten, brachten sie zum Lachen und waren weit über das Medizinische hinaus für sie da.
Was hat dich noch an der Arbeit fasziniert?
Ich konnte nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern eine wichtige Stütze sein, die sich mit ihren Sorgen auch an mich wandten. Zudem war die Arbeit auf der kinderonkologischen Station auch aus technischer Sicht spannend: Ich habe dort miterlebt, wie sich z.B. Infusomaten etabliert haben und andere moderne Geräte eingeführt und weiterentwickelt wurden.
Besonders fasziniert hat mich auch immer das Zusammenspiel so vieler Menschen, die an der Versorgung der kleinen und größeren Patient*innen beteiligt sind sowie die enge Zusammenarbeit zwischen Ambulanz, Station und Ärzt*innen. Der Austausch über jeden einzelnen Patienten ist sehr umfangreich – sei es hinsichtlich der medizinischen Berichte, aber auch in Bezug auf die psychische Verfassung. Das Arbeiten auf der Station A2 hatte stets ein sehr hohes Niveau.
Was macht die Arbeit auf der heutigen Station A2 so besonders?
Die Arbeit mit den Kindern ist nach wie vor das, was ich am meisten liebe. Sie sind offen, ehrlich und herzlich – trotz der schweren Zeit, die sie durchleben. Sie wachsen einem einfach ans Herz. Das ist bis heute so, auch wenn die Eltern nun mehr eingebunden werden und einen bedeutenderen Part bei der Pflege – auch in der Klinik – einnehmen.
Schön finde ich auch, dass die Hierarchien heute deutlich flacher sind und ein fast familiäres Miteinander herrscht, bei gleichbleibend hoher Professionalität. Ich glaube, die meisten Pflegekräfte identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit – es ist mehr als ein Job, es ist Berufung. Man fühlt sich für die kleinen Patient*innen und das Leben auf der Station verantwortlich.
Zudem macht unser Team aus, dass die Stärken der Einzelnen erkannt werden und wir uns in den vergangenen Jahren wunderbar ergänzt haben. Ich nenne mal ein Beispiel: Eine Pflegekraft ist besonders affin, wenn es um technische Fragen zu Geräten geht, während ein*e andere*r Kolleg*in sich besonders gut im Bereich Wundversorgung auskennt – so werden die Stärken aller Pflegekräfte bestmöglich zum Wohle der Kinder eingesetzt. Als neues Teammitglied findet man zu allen Fragen eine*n Ansprechpartner*in, der/die sich in einem Bereich besonders gut auskennt. Unser Team ist einfach toll.
Welche Momente sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Es gibt unzählige Erinnerungen und Momente, die ich niemals vergessen werde.
Die schwierigen Erfahrungen während meiner Zeit auf der kinderonkologischen Station hängen für mich eng mit der großen Verantwortung zusammen, die wir als Pflegekräfte gegenüber den Kindern und ihren Familien tragen: Nehmen wir beispielsweise das Medikamentenmanagement, das äußerst anspruchsvoll ist – wir arbeiten täglich mit hochwirksamen und zum Teil aggressiven Substanzen, deren Verabreichung und Dosierung genau überwacht werden muss. Werden hier Fehler gemacht, und seien sie noch so klein, wird ein Arbeitstag schnell zum „schwarzen Tag“, weil die Verantwortung einfach so groß ist.
Andererseits fordert mich besonders die emotionale Komponente sehr. Wir tragen eine enorme emotionale Verantwortung und müssen – gerade dann, wenn sich der Zustand von Patient*innen deutlich verschlechtert – oft mitten im hektischen Stationsalltag die passenden Worte finden, um den Kindern und Eltern Halt zu geben.
Das war sicher schwer, wenn es den Kindern schlecht ging oder es gar für betroffene Kinder keine Heilung gab. Wie bist du damit umgegangen?
Wir sehen die Kinder auf Station als „unsere“ Kinder – stirbt ein Kind, ist das für das gesamte medizinische Personal sehr schwer. Natürlich bleibt es nicht aus; das ist Teil unseres Berufsbilds. Jede*r geht dabei unterschiedlich mit der Trauer um. Ich bin froh, dass wir uns im Team aufgefangen und ausgetauscht haben an sehr schweren Tagen und dass ich auch privat großen Rückhalt erfahren habe.
Und ich gebe zu, dass Gespräche mit Eltern, deren Kinder es nicht geschafft haben oder bei denen absehbar war, dass es keine Heilung geben wird, mir immer sehr schwergefallen sind. Denn ich hatte dann stets das Gefühl, dass das, was ich sage, das, was ich geben kann, niemals genug sein wird – denn ich kann den (bevorstehenden) Verlust nicht ändern. Dabei fühlt man sich auch als würde man gegenüber den Kindern und Familien versagen – zu akzeptieren, dass man manchmal schlichtweg auf verlorenem Boden kämpft, ist für alle Beteiligten sehr schwer. In solchen Momenten habe ich manchmal Kolleg*innen, die besser damit umgehen konnten, die Begleitung überlassen – und das ist dann auch legitim.
Gab es auch besonders schöne Momente?
Sehr viele. Und gerade in schweren Zeiten habe ich Kraft aus ihnen geschöpft.
Wenn ein Kind sich erholt, lacht und wieder spielen kann – das sind unbeschreiblich schöne Augenblicke. Wenn sie nach der Therapie zur Kontrolle kommen, herumflitzen und einfach wieder Kinder sein können, dann weiß man, warum man jeden Tag sein Bestes gibt.
Aber auch die kleinen, alltäglichen Momente bleiben im Herzen:
Wenn ein Kind zum Feierabend fragt ‚Kommst du morgen wieder?‘ oder Eltern einen umarmen und einfach nur sagen: ‚Danke, dass Sie da sind.‘
Wie fühlst du dich, nun da die Zeit auf Station A2 für dich zu Ende geht und was wünschst du dem Team zum Abschied?
Der Abschied fällt mir so schwer: Ich werde mein Team wirklich sehr vermissen.
Ich wünsche der gesamten Station – den Ärzt*innen, dem Pflegepersonal, allen Beteiligten – dass sie das hohe Niveau, das ich in den letzten 30 Jahren miterlebt habe, beibehalten. Ich wünsche mir, dass das Team stets weiter nach Höherem strebt zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, die uns so am Herzen liegen.
Ich glaube, es wird sehr schwer für mich werden, an meinem neuen Wohnort eine Arbeit zu finden, die mich so sehr erfüllt, wie die Arbeit am Kinderonkologischen Zentrum in Mainz es getan hat – sowohl was das Team als auch die Pflege „unserer“ Kinder betrifft.